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Ist die Aufführung eines Musikstückes auch wesentlich Rekonstruktion (aus einer Partitur heraus), so ist sie aber in dem Sinne banal, als dass sie, obwohl sie als unerlässlich, grundlegend und voraussetzend anzusehen ist, nicht thematisch wird, sich nicht als ästhetischer Eigenwert im Werk zeigt. Das heißt: In jeder Variante bleibt die Rekonstruktion, etwa die Aufführung der 9. Symphonie von Gustav Mahler, auf das ursprüngliche Werk, auf die Komposition und Partitur bezogen. Die Modalitäten, Beweggründe und so fort der Aufführung bilden sich in dieser nicht ab. Das gilt zunächst auch für ein Werk der bildenden Kunst, da jedes Kunstwerk in Malerei, Zeichnung, Skulptur, Fotografie und so fort auch immer eine Rekonstruktion – im Sinne einer Materialisierung von Vorstellungen des schaffenden Künstlers – darstellt. Aber hier wird auch schon die Qualität des Ergebnisses als ein Moment des Andersseins und des Mehr deutlich. Jean Loup Sieff hat gesagt: „Eine fotografische Darstellung entspricht leider niemals genau der Empfindung, die zu ihr geführt hat.“ 1 DerGrunddafürliegtinderZeitdaueretwavonMalereiundderdadurchaufkommendenHandlungs- reflexion des schaffenden Künstlers. Im Schaffen wird der Prozess des Schaffens, die Werkgenese, selbst mit zum Betrachtungsgegenstand, und das Ergebnis der Betrachtung fließt notwendiger- weise in den kreativen Vorgang ein. Dessen Ergebnis beinhaltet dann zumeist ein Moment des Andersseins und ein Mehr.Es kommt dann darauf an,ob das Ergebnis des Prozesses,das Bild oder die Skulptur, die Radierung oder die Installation, diese Reflexion (mit) zum Thema hat. Will man Simon Raabs Bilder als Rekonstruktionen verstehen, dann hat man es wohl zu einem großen Teil mit kulturellen wie kunsthistorischen, vielleicht auch mit politischen Rekonstruk- tionen zu tun (keine Rekonstruktion kommt rein vor). Kulturelle und kunsthistorische Rekon- struktionen können vorliegen, wenn Inhalte, Formen, Themen anderer Epochen und/oder Kultur- kreise anverwandelt werden, wobei es stets um neue, eigenständige Positionen, nicht um uninspirierte Imitationen geht.Wird eine Rekonstruktion politisch,bedarf sie stets einer anderen als Träger. Politische Rekonstruktionen betonen ausgiebig einen Bezug zur Politik. Dabei geht es weniger um Einzelfälle aktueller Tagespolitik als um politische Zustände und historische Ver- drängungen, die künstlerisch umgewandelt werden. Es gibt ein Gandhi-Porträt von Simon Raab, zu dem er selbst gesagt hat: „Gandhi ist die Personi- fizierung einer Idee – Pazifismus, Gewaltlosigkeit, Nicht-Kooperation und ziviler Ungehorsam. Indien wurde vom Kolonialismus befreit, in aller Welt entstanden Freiheitsbewegungen. Heute gibt es überall Nationalismus, die Kriege gehen weiter, Unschuldige werden terrorisiert und die freie Meinung wird zunehmend unterdrückt. Deshalb ist Gandhi misshandelt und blutbesudelt – leider.“2 Raab parallelisiert hier bewusst politische und künstlerische Handlungen. Konden- sationspunkt ist ein bekanntes Porträt des Freiheitskämpfers: Die mediale und politische Rekonstruktion ist auf den Punkt gebracht. Ähnlich verhält es sich auch in den Bildern von Königin Elisabeth II. Dazu wieder Raab: „Bei den wichtigsten Entscheidungen im Leben haben wir kein Stimmrecht. … Königin Elisabeth hat diese Machtlosigkeit mit uns gemeinsam. Ich achte sie als Frau und Mutter und ich achte ihre entschiedene Hingabe an die Rolle, die man ihr 1952 zugewiesen hat … sie war eine junge, schöne Königin. … Für mich ist die konstitutionelle Monarchie, diese pompöse … Infrastruktur in der Mitte einer freien Gesellschaft, blanker Zynismus.“3 Simon Raab hat drei politisch- rekonstruktive Bilder der Queen gemalt: Eins als schöne junge Königin, eines als Frau in fort- geschrittenem Alter, eines als goldener Totenschädel. Das erste meint die Hingabe, das zweite das Ende des Reiches und das dritte will das wahre Gesicht der Monarchie entlarven, die gegrün- det wurde,„um im Namen von Vaterland und König zu plündern“.4 Auch hier manifestiert sich eine politische Rekonstruktion,die sich an die Wiederaufnahmen historisch belegter Bildnisse knüpft. Nicht alle Werke Simon Raabs sind jedoch so auf Rekonstruktion angelegt. Viele seiner Arbeiten 24 1 Vgl. hierzu Gerhard Charles Rump: Rekon- struktionen. Positionen zeitgenössischer Kunst, Berlin 2010 und Jean Loup Sieff: 40 Jahre Fotografie, Köln 1990 2 Simon Raab: Parleau. Katalogbuch, Galerie Peter Zimmermann, Mannheim 2010, S.12 3 ebd., S.16 4 ebd.