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Die unumwunden zugegebene Verzweiflung der Kommentatoren ist eines der immer wiederkehrenden Motive, wenn es gilt, sich zur Malerei zu äußern. Immer aufs Neue wird die Frage beschworen, ob die Malerei der Worte überhaupt bedürfe, ob die Sprache in der Lage sei, die Malerei zu fassen. Fragen, die immer wieder mit jenem folgenlosen Nein beantwortet werden, das den Text zwar in eine bedeutende gedankliche Anführung stellt, ihn aber nicht zu verhindern vermag. Dieser Text reiht sich in diese Tradition zitierend ein. In seinen Betrachtungen zu den Geiseln von Jean Fautrier kommt Francis Ponge immer wieder auf eine Frage zurück: „Gibt es Worte für die Malerei? Man kann es sich fragen (hier ist der Beweis). Und sich Antwort geben: Gewiss, man kann über alles reden. Fängt man aber einmal damit an, sollte man da nicht vermeiden, sich das zu fragen, und das Spiel nicht lieber gleich mitmachen? Oder sich eine einfachere Antwort geben: Also los, […] versu- chen wir es, wir werden ja sehen. Oder aber: nein, offenbar nicht, keine brauchbaren Worte; die Malerei ist die Malerei, und die Worte sind offenbar für die Literatur gemacht, nicht für die Malerei. […] Wir sind kaum einen Schritt weitergekommen.“1 Und so proklamiert Ponge schließlich – gewisser- maßen als rettendes Resümee: „In jedem Fall ist gute Malerei diejenige, über die man mit allen Versuchen, etwas zu sagen, niemals etwas Befriedi- gendes wird sagen können.“2 Unter dieser Prämisse lässt sich beginnen. Simon Raab hat in den vergangenen Jahren einen umfassenden Block von Werken geschaffen, die im Grenzland zwischen Malerei und Skulptur mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Ort finden. Mit der schlüssigen Benen- nung dessen, was wir sehen, tun wir uns schwer. Wir sehen Malerei, zwei- fellos – aber wir sehen gleichsam Strukturen eines objekthaften Reliefs, kurzum: Wir erfahren skulpturale Momente im Malerischen und Malerisches im Skulpturalen. Wir sind dem Künstler deshalb dankbar, dass er diesen Werken einen Namen gegeben hat: Parleau nennt er sie. Und er tut dies nicht von ungefähr. In dem Wortgebilde schwingt „das Sprechen“ (frz. par- ler) mit, und der in Kanada aufgewachsene und nunmehr in den Vereinigten Staaten lebende Künstler hat das französische par l’eau ins Englische trans- feriert mit dem Ergebnis Parleau. Also lesen wir eine anglisierte Variation des französischen par l’eau, das wir im Deutschen wohl in etwa mit „durch das Wasser“ fassen können. Raab beschreibt mit dem poetischen Werkbe- griff das, was wir sehen: ein Geflecht der Lichtbrechungen und vibrierenden Farbklänge, und er entgeht so der ermüdenden Frage, ob wir es hier mit Skulptur oder Malerei zu tun haben – denn wir haben es mit beidem zu tun und mit mehr. Thomas Huber, der Maler und Dichter, der seinen Bildern zumeist mit der Gegenwart von Texten begleitende Obhut gewährt, hat die Oberfläche des Wassers zu einer entscheidenden Metapher seines poetischen Bildsystems gemacht. Die Wasseroberfläche bei ihm wird vorgestellt als eine durch- lässige Membran, an der das Licht – und somit der Blick – sich bricht und in eine andere Sphäre eintaucht. Diese andere Sphäre ist der Raum des Bil- des, in dem eine andere Dichte, eine andere Tiefe, eine andere Temperatur vorherrscht. Das Bild ist so eine kondensierte Form der Lebenswirklichkeit, verdichtetes Leben und Gegenwelt des Wirklichen, ein Raum der Vor- stellung. Simon Raabs Bilder begründen in diesem Sinn keinen Bildraum als Gegen- welt. Seine Bilder lassen einen nicht genau fassbaren Raum entstehen. Sie spielen eher in einer Atmosphäre, die gewissermaßen den Raum auf beiden Seiten der Membran der Wasseroberfläche umfasst. In den Sphären der Lichtbrechungen, dort, wo das eine ins andere umschlägt, wo ein immer neu sich formierendes In- und Gegeneinander sich ereignet, in diesem sphäri- schen Feld realisiert sich die Malerei Simon Raabs. Ihm gelingt dies mit einer ebenso einfachen wie komplizierten Technik. In Schichtungen trägt er die Farbe auf industriell gefertigte Bildträger, auf Platten aus Aluminium oder Stahl auf. Die blendende Strahlkraft dieser Kombination wird von ihm jedoch rigide bearbeitet. Er verformt die glatten Oberflächen der metalli- schen Bildträger und moduliert so den Strom der Farben in immer neuen Faltungen und Brechungen. „Was soll man sagen von diesen Flächen“, fragt Beckett in seinem Aufsatz über die Brüder van de Velde, „von diesen Flächen, die gleiten, den Konturen, die vibrieren, den Körpern wie in Nebel geschnitzt, den Gleich- gewichten, die beim geringsten drohen, aus dem Lot zu geraten, die aus- einanderbrechen und sich, je länger man hinschaut, neu bilden? Wie soll man von den Farben sprechen, die atmen, keuchen? Von dem aufgestauten Gewimmel? […] Hier bewegt sich alles, schwimmt, flieht, kehrt zurück, löst sich auf, bildet sich neu. Alles endet, endlos.“3 Punktgenauer als mit dieser geliehenen Rede sind die Ereignisse auf den Bil- dern Simon Raabs kaum zu beschreiben. Und doch kommt etwas Entschei- dendes hinzu. Der Tanz der Flächen und Farben, der bei den van de Veldes im Geviert des zweidimensionalen Bildes scheint, wird in den Bildern Simon Raabs konkret. Die Flächen treten die Reise in den Raum an, fügen sich in Zug und Gegenzug zu einem realen räumlichen Geflecht, an dessen Kanten sich das Licht bricht. Wir betreten das Gelände des Skulpturalen und das Terrain der diesseitigen, nicht allein vorgestellten Realität des Bildes. Diese Zugewandtheit zum realen Raum, in dem der Betrachter steht, zeichnet das Werk von Raab in besonderer Weise aus. Hier auch gewinnt die Materialität des industriell gefertigten Bildträgers seine tiefere Dimension. Dass das Spiel der Farbe nicht allein das Metier und Rüstzeug des Malers ist, sondern auch dem Bildhauer zur Verfügung stehen muss, hat einer der Pioniere der modernen Skulptur, Rodin, in zauberhafter Weise beschrieben: „Sehen Sie diese kräftigen Lichter auf den Brüsten, diese energischen Schatten in den Falten des Fleisches, dann hier diese sich aufhellenden Stellen, dieses duf- tige, gleichsam zitternde Halbdunkel auf den zartesten Teilen dieses göttli- chen Leibes und diese unendlich fein schattierten Streifen, die sich in der umgebenden Luft aufzulösen scheinen. Was sagen Sie nun? Ist das nicht eine wunderbare Symphonie in Weiß und Schwarz? So paradox es erscheint, die großen Bildhauer sind ebenso Koloristen wie die besten Maler … Sie beherrschen so geschickt alle Hilfsmittel des Reliefs, sie vermählen so vor- trefflich die Kühnheit des Lichts mit der Bescheidenheit des Schattens, dass ihre Skulpturen so zart und köstlich sind wie die feinsten und duftigsten Sti- che. Jawohl, die Farbe – und damit komme ich endlich zu der Bemerkung, die ich längst machen wollte – ist sozusagen die Blüte der schönen Model- lierung. Diese beiden Eigenschaften gehen immer Hand in Hand; sie beide geben allen Meisterwerken der Bildhauerkunst den bezaubernden Anblick des Lebendigen.“4 190 1 Francis Ponge, Texte zur Kunst, Frankfurt am Main 1990, S.17 2 Ebd. 3 Samuel Beckett, Die Welt und die Hose, Frankfurt am Main 1990, S.32f. 4 Auguste Rodin, Die Kunst. Gespräche des Meisters, gesammelt von Paul Gsell, Zürich 1979, S.58f.