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Zunächst war die Farbe opak und meist glanzlos oder, wenn sie als Glasur aufgetragen wurde, unbeabsichtigt streifig und ausgewaschen. Dann wurden die Malgründe – und damit auch der Ehrgeiz – größer: 144×100 cm ist jetzt die Norm. Hier scheint mir eine subjektive Bemerkung nötig. Ich bekenne, dass mir viele dieser ersten Werke nicht besonders gelungen scheinen; Bilder wie Spa Womb Woman („Badende im Uterus“) oder Spa Womb Man („Badender im Uterus“) sind für mich ein trauriges Paar. Aber das nur am Rande. Wichtig ist, dass Raab aus seinen Fehlern gelernt hat, und zwar sehr schnell. Herman Melville hat gesagt, dass es besser ist, mit Originalität zu scheitern als mit Imitation Erfolg zu haben. Er muss es wissen, denn die beiden meistgenannten Kandidaten für den Titel des größten amerikanischen Romans, Melvilles Moby Dick und F. Scott Fitzgeralds Der große Gatsby, wurden von der Kritik zunächst verrissen und vom Publikum abgelehnt. Raab hat sich spät entschieden, sich ganz der Kunst zu widmen. Dasselbe gilt für Kandinsky, der in den Dreißigern, und für Jean Dubuffet, der mit Mitte vierzig zu malen begann. Und die von Dubuffet bewunderten Auto- didakten nahmen zum Teil in noch höherem Alter erstmals den Pinsel zur Hand. Morris Hirshfield war über siebzig, Anna Mary Robertson (alias „Grandma“) Moses erlebte mit achtzig ihre erste Ausstellung (an der sie übrigens nicht teilnahm, weil, wie sie sagte, im Oktober zu viel auf der Farm zu tun sei und sie die Bilder ja schon gesehen habe). So verschieden diese Spätberufenen auch sein mögen, eins haben sie gemeinsam: die lebendige Mischung aus der Weisheit des Erwachsenen und der Begeisterung der Jugend. Solange es keinen besseren Ausdruck dafür gibt, könnte man es als „reifen Überschwang“ bezeichnen. Für einen zwanzigjährigen Maler sind fünf Jahre ein Viertel seines gesam- ten Lebens. Für einen 57-Jährigen wie Simon Raab sind es weniger als 10 Prozent, und dieser Anteil verringert sich mit jeder vergehenden Sekunde. Diese nüchterne mathematische Gewissheit steigert den Hörsinn: Hör zu! Die Uhr tickt. Als Physiker kennt Simon Raab die Bedeutung der Zeit. Als Sterblicher kennt er ihren Wert. Die halsbrecherische Geschwin- digkeit, in der seine Werke entstehen, verrät eindeutig das Gefühl einer gewissen Dringlichkeit. Wer das Leben eines beliebigen Menschen tiefer betrachtet, erkennt darin die Hand des Schicksals. Aus der Vogelperspektive mäandern die Parleaux zurück zu den biomechanischen Geräten und den lasergestützten Präzi- sionsmessinstrumenten, die Simon Raab erfand und in der ganzen Welt vertrieb. Raab selbst sagt: „Bei meinen Implantaten ging es immer um das fundamentale Problem der Adhäsion – welche Verbindung von Metall und Plastik kann einer erstaunlich korrodierenden, salzhaltigen Umgebung – d.h. dem menschlichen Blut – standhalten? Dank dieser wissenschaftli- chen Arbeit wusste ich also bereits, wie man Acryl dauerhaft mit Metall verbindet.“ Alles, was wir sehen, ist Licht, das Reich von blendender und oft wider- sprüchlicher Komplexität. Beim Laser handelt es sich um die am stärksten destillierte Manifestation des Lichts. Um zu verstehen, warum das Licht Raab über all die Jahre so sehr faszinierte und wie er die Parleaux entwi- ckelte, empfiehlt sich der Blick zurück in die Jugend des Künstlers, der noch in der Schule ein wissenschaftliches Projekt erarbeitete, bei dem er mit Hilfe von Helium-Neon-Lasern Lichtstrahlen zur Übertragung von Geräuschen benutzte. Das trug ihm eine Belohnung – den zweiten Preis – ein und machte die CIA auf ihn aufmerksam, die die Idee des Teenagers hors de commerce für ihre Lausch- und Spionagetätigkeit einsetzte. Diese unbezahlte Aneignung lehrte Raab, dass es wichtig ist, Ideen patentieren zu lassen – es gibt bis heute über siebzig Patente auf seinen Namen. Man kann sagen, dass der Samen, aus dem die Parleaux erwuchsen, schon in seiner Kindheit gelegt wurde. Getreu dem Satz von Baudelaire, Genie sei die Fähigkeit, nach Belieben in die Kindheit zurückzukehren, wollen wir uns den jungen Simon ansehen, der 1952 im französischen Toulouse zur Welt kam. Achtzehn Monate später plantscht er in den Teichen und Seen Onta- rios, wo er viele Jahre später auch fischen und rudern wird. Diese schönen, wichtigen Kindheitserinnerungen tauchen heute in einer Kunstform wieder auf, die das Entzücken und kindliche Erstaunen über den Anblick des Lichts, das durch Wasser fällt, evoziert. Und ein Blick in die Geschichte lädt zu einem Sprung zurück ins 9. Jahrhundert ein, zu Grabsteinen mit dem Namen „Raab“, die nahe dem Fluss Raab in Mitteleuropa aufgestellt wur- den, einer unruhigen geopolitischen Region, in der die Nationalstaaten alle zehn Jahre ihre Grenzen neu festlegten. Und wer waren Simon Raabs Eltern? Jeannine, die Mutter, hatte Freude an Kunst und gab sie an ihren Sohn weiter. Alexander, der Vater, war Gärtner und Lehrer. Vor allem aber war er ein Pragmatiker, dessen Weltsicht von seinen Beobachtungen und Taten als Mitglied des tschechischen Unter- grunds im Zweiten Weltkrieg bestimmt wurde. Für Alexander Raab hatte Überleben – definiert auch als finanzielle Sicherheit – Vorrang vor ästheti- schen Fragen. Alexanders Frau flüchtete während des Holocaust in die Schweiz. Dieses Glück hatten viele Mitglieder der Familie Raab nicht. Die Eltern seines Vaters – Simons Großeltern – starben in Auschwitz. Vier von Alexanders Geschwistern überlebten, ein Bruder starb als Zwangsarbeiter in den Kohle- bergwerken in Elsass-Lothringen. Alexanders ältere Schwester Olga kam mit ihrem Mann und ihrem Kind in Auschwitz um. Und Simon Raab verwen- dete für seine ersten Kunstwerke versengtes Holz und Epoxy und schuf aus diesem Material schimmernde schwarze Skulpturen, zum Beispiel Mother and Daughter in Dachau („Mutter und Tochter in Dachau“). Es gibt Themen – und dieses große Verbrechen des 20. Jahrhunderts gehört dazu –, die von der Kunst weder ergründet noch ignoriert werden können. Nichts kann dem Schrecken und der Unmenschlichkeit des tatsächlichen Ereignisses gerecht werden. Filme kommen der schrecklichen Wahrheit vielleicht am nächsten. Dokumentaraufnahmen, die fast nicht zu ertragen sind, erinnern daran, dass das Unvorstellbare tatsächlich geschah – eine unvorhergesehene Notwendigkeit im Zeitalter der Holocaustleugner. Spiel- filme wie Das Tagebuch der Anne Frank und Schindlers Liste geben den Millionen von Opfern und denjenigen, die alles riskierten, um ein paar von ihnen zu retten, ein Gesicht. Simons Onkel Ernest spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle als Gegengewicht zu der überwältigenden Persönlichkeit Alexanders. Ernest war zwar tatsächlich der Onkel, für Simon aber, wie er selbst sagt, in geistiger Hinsicht ein „zweiter Vater“. Er war ein namhafter Bildhauer, vor allem bekannt als Schöpfer des Holocaust-Mahnmals in Toronto. Durch Ernest lernte Simon die Kunst zu lieben, und Ernest motivierte Simon zu einem unausgesprochenen Versprechen: Bevor er zum Star des Graduiertenprogramms in Maschinenbau an der McGill University wurde, schwor sich Simon Raab, eines Tages selbst Künstler zu werden. Dass er dieses Versprechen gehalten hat, zeigt das Buch, das Sie jetzt in Händen halten. Wie es der Zufall wollte, zog sich der 71-jährige Ernest Raab, der an Leukä- mie erkrankt war und nach einer Rückenoperation unter starken Schmerzen litt, an eben dem Tag, an dem Simon seinen ersten Kunstkurs besuchte – einen Bildhauerkurs in Orlando, Florida –, seinen Sabbatanzug und seinen Gebetsschal an, nahm eine Überdosis Oxycontin und legte sich aufs Bett seiner Wohnung in Toronto. Nur einen Tag vorher war sein Neffe als Leiter von Faro Technologies zurückgetreten, der Drei-Personen-Firma, aus der ein globales Unternehmen mit 750 Mitarbeitern geworden war. In der Renaissance, als Kunst und Wissenschaft noch Hand in Hand gingen, waren Maler auch Erfinder, die die sichtbare Welt untersuchten, um sie zu